Mittwoch, 6. Februar 2019

 

Der erste Öko

 

Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur

von Andrea Wulf

 

Trommelwirbel: Ich habe noch mal ein gutes Buch gelesen (Tusch und Applaus!) Das ist insofern bemerkenswert weil ich in den letzten Monaten eigentlich nur Mist verschlungen habe, weil ich beim Lesen nicht denken wollte. Ich habe das manchmal, in der Regel ist das ein Syptom für Übermüdung.


Letztes Wochenende war ich mit meiner Tochter in einer Buchhandlung, um ihr dabei zuzusehen, wie sie sich nicht entscheiden kann, was sie sich von ihrem Geburtstagsgutschein kaufen soll. Dabei fiel mir die Taschenbuchausgabe der Biografie über Alexander von Humboldt in die Hände. 
Ich hatte schon mit der gebundenen Ausgabe geliebäugelt, aber erstens war mir die zu teuer und zweitens zu dick. Wenn so ein Buch nämlich langweilig ist, was bei Biografien häufig vorkommt, schlafe ich beim Lesen ein, und dann fällt mir das schwere Buch auf die Nase und ich tue mir weh.
Während meine Tochter also die hundertste Runde an den Regalen vorbei drehte, entschloß ich mich, das Risiko einzugehen und das Buch mitzunehmen, schließlich stand "Spiegel- Bestseller" auf dem Titelblatt.
Alexander von Humboldt war einer der großen Naturforscher Europas, die sich im 18. und 19. Jahrhundert aufmachten, die Welt zu entdecken, ausgerüstet mit beinahe modernen Meßinstrumenten, Botanisiertrommeln, Dutzenden von Notiz- und Skizzenbüchern und ihrem aufgeklärten Verstand. 
Er wurde 1769 als Sohn einer preußischen Adelsfamilie geboren. Sein Bruder war Wilhelm von Humboldt, der später zum Erfinder des modernen Schulwesens in Preußen wurde: die Humboldt- Universität in Berlin ist nach Wilhelm, nicht nach Alexander benannt. Die Brüder erhielten auf Betreiben seiner Mutter (die sie nicht leiden konnten) eine hervorragende Ausbildung, und von beiden wurde erwartet, sich im preußischen Staatsdienst auszuzeichnen. Während Wilhelm in den diplomatischen Dienst eintrat, versuchte Alexander sich als Assesor im Bergbau, aber seine eigentliche Leidenschaft lag woanders.
Er interessierte sich für die Wissenschaften, die Natur und die Literatur. Durch seinen Bruder und dessen Frau Caroline lernte er Goethe kennen, er ihm ein Freund fürs Leben wurde. Als Alexanders Mutter 1796 starb, erbte er 50.000 Gulden, die es ihm endlich ermöglichten, sich auf die lange ersehnte Reise zu begeben. Weil Europa in die Revolutionskriege verstrickt war, konnte er erst 1799 mit einer Erlaubnis des spanischen Königs nach Südamerika aufbrechen. 
Auf seiner Reise, die mehr als fünf Jahre dauerte, besuchte er Kuba, Peru, Mexiko, Venezuela und Kolumbien, auf dem Rückweg bekam er die Gelegenheit, den amerikanischen Präsidenten Thomas Jefferson in Washington kennenzulernen. Er bestieg Vulkane und holte sich die Höhenkrankheit, er wurde beinahe von einem Krokodil gefressen und verzweifelte an Moskitos, aber er sammelte Informationen wie ein Bessener. Mit dem Material, das er in dieser Zeit zusammentrug, schrieb er den Rest seines Lebens seine Bücher, die ihn zum bekanntesten Gelehrten der Welt machten. Wer sich ein Bild seiner Reisen machen möchte, sollte sich den Film "Die Vermessung der Welt" ansehen.
Was ihn so besonders macht, ist seine Einstellung zur Umwelt. Er war fest davon überzeugt, dass alles zusammenhängt. Stört man einen Bestandteil, stört man gleich das Ganze. Er erkannte weit vor der industriellen Revolution, welchen Schaden der schonungslose Abbau von Ressourcen tatsächlich anrichtet. Weil er in die Schönheit der Natur verliebt war, konnte er sich kein höheres Ziel denken, als sie zu erhalten. Mit dieser Haltung beeinflußte er den Evolutionsforscher Darwin ebensosehr wie den Dichter Thoreau. Beide hatten, wie viele Reisende zu dieser Zeit, Werke von Humboldt als Inspiration dabei.
Alexander selbst konnte erst 1829 im Alter von immerhin 60 Jahren erneut aufbrechen. Nachdem seine Versuche, nach Asien zu gelangen, durch einen jahrelangen Kleinkrieg mit der Ostindien- Kompanie vereitelt worden waren, hatte er durch eine Einladung des russischen Zaren Nikolai I. die Gelegenheit, wenigstens Sibirien und die Mongolei kennenzulernen. Auch wenn diese Reise mit seiner ersten nicht zu vergleichen war, kam er noch im selben Jahr überglücklich nach Preußen zurück, wieder beladen mit Proben und Informationen. 
Den Rest seines Lebens verbrachte er hochgeehrt in seiner mit Büchern und Korrespondenz vollgestopften Wohnung in Berlin. Er verfaßte sein vierbändiges Hauptwerk, das er den "Kosmos" nannte und das ihn endgültig zur Legende machte. Er schrieb Briefe an beinahe jeden führenden Wissenschaftler der Welt, förderte junge Talente und hielt Vorlesungen an der Universität. Er blieb bis zu seinem Lebensende neugierig und wissendurstig, z.B. verfolgte er sehnsüchtig die Entwicklung des Telegrafen, der es ihm ermöglicht hätte, sich noch intensiver mit  klugen Köpfen auszutauschen.  Er wurde neunzig Jahre alt.
Andrea Wulf kann schreiben, das macht das Lesen der Biografie interessant und kurzweilig. Bei der Beschreibung der Schriftsteller und Wissenschaftler, die durch Humboldt beeinflußt wurden, wird sie manchmal etwas weitschweifig, dafür fand ich ihre Reisebeschreibungen einfach großartig. Ausserdem bringt sie es fertig, Alexander von Humboldt als Menschen lebendig werden zu lassen, ohne zu literarisch zu werden.

Ich jedenfalls fühle mich gerade sehr inspiriert.
Vielleicht fange ich jetzt auch an, Käfer zu sammeln. 



Andrea Wulf,
Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur
Penguin Verlag
ISBN 978-3-328-10211-3


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