Mittwoch, 14. November 2018

 

Gedenken

Besuch in der Gedenkstätte KZ Sachsenhausen

 

 

Als ich im Sommer mit meinen Töchtern in Berlin war, wollte die Ältere unbedingt das ehemalige KZ Sachsenhausen besuchen. Sie interessiert sich sehr für Geschichte, den Nationalsozialismus hatte sie in ihrem Leistungskurs gerade sehr intensiv behandelt. Ich habe mich immer gefragt, welche Wirkung der Schulunterricht und die üblichen Exkursionen tatsächlich auf die Schüler haben.


Sachsenhausen, an der Grenze zu Oranienburg gelegen, wurde bereits 1936 erbaut. Zum ersten Mal gab es ein Lager, das durch einen Architekten geplant wurde. Bernhard Kniper war gründlich: was er ersann, bekam später den Namen "Geometrie des totalen Terrors". 
In Sachsenhausen wurden einerseits SS-Mannschaften ausgebildet, andererseits diente der Ort als Lager für politische Gefangene, für "Minderwertige", für Juden, "Zigeuner", "Asoziale" und für Bürger aus besetzten Staaten. Es gab eine Werkstatt zur Fälschung von britischem Pfund, eine Schuprüfstrecke für die Wehrmacht, Zwangsarbeiter für Heinkel und Siemens waren hier untergebracht. Sachsenhausen unterhielt ebenfalls mit Zwangsarbeitern ein eigenes Ziegelwerk.
Die inhaftierten Menschen starben an Hunger, Krankheiten und durch schwere Mißhandlungen. Die Ärzte hatten die Erlaubnis, medizinische Experimente an den Lagerinsassen durchzuführen, auch an Kindern. Das eigene Krematorium, das 1939 errichtet wurde, mußte bereits 1942 durch ein größeres ersetzt werden, an das eine Genickschußanlage angeschlossen war. Seit 1943 gab es eine Gaskammer. Allein 1941 starben 12.000 russische Kriegsgefangene.



Ab 21. April 1945 begann die SS, das Lager zu räumen. 33.000 Menschen wurden evakuiert und vollkommen ohne Sinn Richtung Westen getrieben. Die im Lager Verbliebenen überließ man dem sicheren Tod. Nach der Übernahme durch die Sowjetarmee nutzte man das Lager als Übergangslazarett für Häftlinge und Kriegsopfer, später bezeichnete das Militär es als "Speziallager". 1961 entstand die Gedenkstätte Sachsenhausen.
1995, 10 Tage nach dem Besuch des israelischen Ministerpräsidenten, steckten Neonazis auf dem Gelände die Baracke 38 in Brand. Sie wurde modifiziert wieder aufgebaut, zur Hälfte ist sie jetzt ein zeitgeschichtliches Museum. Als Folge des Anschlags mußte die bis dahin Tag und Nacht zugängliche Gedenkstätte mit Überwachungskameras und Toren ausgerüstet werden. Auf dem Gelände unterhält das Land Brandenburg seit 2006 die Fachhochschule der Polizei.


Das sind die puren Fakten. Aber was einen erwartet, wenn man Sachsenhausen besucht, ist etwas anderes. Die Opferzahlen treten zurück hinter Einzelschicksalen, und dadurch wird das Geschehen erst wirklich erfahrbar. Die Menschen, die hier lebten, werden mit Namen und Fotos genannt: das gilt für die Opfer und die Täter. Der KZ- Kommandant und seine Familie, der Lagerarzt, der Leiter der Wachmannschaften haben Biographien ebenso wie die Luxemburger Polizisten, die Künstler aus der Fälscherwerkstatt und all die anderen, die hier starben. 
Die Leitung der Gedenkstätte erlaubt das Anbringen von Gedenktafeln für Einzelpersonen an den Außenmauern ebenso wie in den Zellen des Gestapo- Gefängnisses. Auch das Erinnern der Angehörigen macht aus Opfern echte Menschen.


Das Fläche des Lagers ist erstaunlich klein. Wenn man in den rekonstruierten Räumen der Baracke 38 die Betten, die Sanitär- und Aufenthaltsräume gesehen hat, bekommt man einen Eindruck davon, wie viele Menschen dort auf engstem Raum leben mussten; wie es da gerochen haben muss; wie sehr die Gefangenen unter dem Verlust ihrer intimen Räume gelitten haben müssen. Es muss die Hölle auf Erden gewesen sein.
Meine beiden Töchter waren der gleichen Meinung. In der Schule bleibt der Holocaust zwangsläufig abstrakt, aber wenn man hier oder in einer der anderen Gedenkstätten gewesen ist, kann man sich wirklich vorstellen, was Menschen einander antun können. Und man lernt auch, wie wichtig es ist, das niemals zu vergessen.  

Kamera: Canon AE-1, 35 mm- Objektiv
Film: Kodak Tri-X ISO 400