Mittwoch, 22. März 2017

BeetleDress

(...klingt irgendwie cooler als Käferkleid)

 

Kleid am Bücherregal

 

Vor drei Wochen kam mein mich liebender Ehemann auf die Idee, zu einem Punkkonzert zu gehen. Dazu muss man wissen, dass er die herausgeschlagene Ecke an einem seiner Schneidezähne dem Pogo bei einem Clash- Konzert verdankt, das er mit siebzehn besucht hat. Er war damals schon über zwei Meter gross, aber ziemlich dünn. Er sprang auf und ab wie ein Wilder, der Typ neben ihm auch, aber leider im genau entgegengesetzten Sprungrhythmus. Also knallte der ihm mit dem Kopf genau unter die Kinnlade. Es ist bezeichnend, dass mein Mann sich die Ecke nie überkronen liess. Auf solche Narben ist man stolz!

Freiburg
Ich war nie so der Punkfan, aber ich gehe gerne zu Konzerten. Natürlich fiel mir zeitgleich mit der Zusage ein, dass ich praktisch nichts Passendes zum Anziehen hatte. Ein neues Kleid mußte her. Ich suchte so ein bißchen herum und fand den Schnitt Chloe (Pattydoo), den ich mir hervorragend mit Dr. Martens und Jeansjacke vorstellen konnte. Ein Blümchenmuster auf schwarzem Grund, das wäre es doch!

Nicht ganz ein Blümchendruck

In meinem bevorzugten Stoffladen gab es keinen schwarzgrundigen Blümchenjersey. Ich wühlte mich wie ein Waschbär in einer Mülltonne durch sämtliche verfügbaren Stoffballen: keine Blümchen! Statt dessen fand ich einen dunkelgrünen Jersey mit verschiedenen Käfern drauf. "Käfer? Ich kann mir doch kein Kleid mit Käfern nähen", sagte meine innere Susanne kopfschüttelnd, während die innere Susi daneben schon aufgeregt herumhopste und "Haben! Haben!" quietschte. Ich drehte sage und schreibe sechs Runden durch den Laden, bis ich mich entschieden hatte. Ich kaufte den Stoff und klatschte mich mit der inneren Susi ab.

Fertiges Kleid mit mir drin

Zuhause zeigte ich ihn zuerst unserem Hund, der bei seinem Anblick wedelte. 
Danach kam mein Mann an die Reihe: "Sieht super aus!" 
Tochter 1:"Bäh, Insekten!" 
Tochter 2:"Wie cool!" 
2,5:1, das ist für mich ein grandioses Ergebnis. Mit gestärktem Selbstvertrauen machte ich mich ans Werk. 
Der Schnitt ist übrigens in Ordnung. Man bekommt ihn als PDF zum Zusammenkleben (seufz!) mit einer recht ausführlichen Beschreibung. Wenn man- so wie ich- die Sache mit den Taschen nicht begreift, gibt es ein anschauliches YouTube- Video. Das Schnittmuster ist einschliesslich der Nahtzugaben, was ich gewöhnungsbedürftig fand, und es gibt massenweise Schnittmarkierungen. Ich kann nur empfehlen, die alle zu übertragen. Man soll das Kleid mit fertigem Oberteil und fertigem Rock in der Taillie in einer Naht zusammennähen, da wird es ohne Markierungen unübersichtlich. Das Kleid ist ziemlich kurz und die Taillie sitzt recht hoch. Ich bin 1,67 m groß, bei mir geht das. Bei größeren Frauen stelle ich mir die Proportionen schwierig vor.

Komplettes Punkkonzertoutfit

Das Käferkleid schmückte mich tatsächlich anläßlich des Konzerts. Es fand im Waldmeister statt, einem Kulturverein der etwas anderen Art in Solingen. Der Verein unterstützt lokale junge Bands, bietet ihnen Proberäume und die Möglichkeit aufzutreten. Die Band, die der Cow Club als Organisator des Konzerts eingeladen hatte, hieß Freiburg und kam verwirrenderweise aus Gütersloh. Ich war selten einer solchen Lautstärke ausgesetzt (manche würde das brutalen Krach nennen)- mein Mann war begeistert.
The Cuckoo

Als Vorband traten The Cuckoo auf. Von denen hatte ich noch nie gehört. Es stellte sich heraus, dass alle Bandmitglieder auf die selbe Schule wie meine Töchter gehen. Sie waren erstaunlich gut! Dass sie einen Song über den Englischlehrer meiner älteren Tochter zum Besten gaben, fand ich ziemlich lustig. 
Das Käferkleid ist übrigens konzerttauglich: wenn man nicht weiß, wohin mit seinem Bier, weil man klatschen will, kann man es kurzfristig in eine der großen Taschen stellen. Eine 0,3- Flasche Astra paßt rein!

Schnitt: Chloe/ Pattydoo

Donnerstag, 9. März 2017

Dienstag, 7. März 2017

Das Amsterdamkleid

 

Das Amsterdamringelkleid

 Um den Namen dieses Else- Kleides zu erklären, muß ich ein wenig ausholen:

 

(Ich könnte natürlich auch kurz und knackig eine Funktionsbeschreibung liefern so wie: "Schnitt Else mit U- Boot- Ausschnitt, halblangen Ärmeln und Tunnel für ein Bindeband", aber ich bin Rheinländerin. Ich kann das gar nicht. Rein sachliche Berichte abgeben zu müssen verursacht mir körperliche Schmerzen. Das muß man sich so vorstellen, als nötige man einen Hamburger dazu, einen Orden anzunehmen. Wir Rheinländer lieben es, unsere Geschichten so richtig auszuschmücken. Im Gegenzug haben wir die Fähigkeit entwickelt, den weitschweifigen Erzählungen anderer Rheinländer nur halb zuzuhören, aber trotzdem das Wesentliche herauszufiltern. Wir sind dabei immer sehr freundlich, manchmal geradezu enthusiastisch, auch wenn wir uns eigentlich nur gegenseitig im Wortschwall herumstehen, wie Konrad Beikirchner das so schön nennt. Rheinländer sind sozusagen die Labradore unter den Menschen: fröhlich, kontaktfreudig, mit Aufmerksamkeitslücken und total distanzlos.)

Heute frostbeuligerweise mit Strickjacke

Um auf das Kleid zurückzukommen: letzten Sommer war ich mit meinen beiden Mädels in den Ferien für ein paar Tage in Amsterdam. Wir hatten richtig viel Spaß. Meine ältere Tochter formulierte es so: "Das ist so cool hier, die Leute sehen alle aus als hätten sie einen Blog auf Tumblr!" Als Highlight hatten wir einen Besuch im Van- Gogh- Museum gebucht. Als ich mit den beiden die Reise plante, war ich etwas überrascht, als sie unbedingt dahin wollte. Das Anne- Frank- Haus war klar, denn erstens kennen sie das aus dem Deutsch- und Geschichtsunterricht und zweitens kommt es in "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" vor. Erst als wir wieder zu Hause waren, fand ich heraus, woher die Begeisterung kam. Es gibt eine Folge über Van Gogh bei "Dr. Who", die so schön und so traurig ist, dass man am Ende in Tränen aufgelöst auf dem Sofa sitzt.
Das Van- Gogh- Museum in Amsterdam ist allerdings auch ohne Tardis unbedingt sehenswert. Wir standen vollkommen überwältigt vor einigen der besten Bilder des Künstlers und kriegten uns über die Leuchtkraft der Farben im Original schier nicht wieder ein.
Unerreichbares Vorbild

Bei der zweiten Runde durch das Museum, als wir unsere Lieblingsbilder noch einmal ansehen wollten, stand auf einmal eine zierliche Japanerin in einem Ringelkleid neben mir. Die war so entzückend, dass es bei mir aussetzte: "Ich will genau so aussehen", schoß es mir durch den Kopf. Ich blendete einfach die Tatsache aus, dass sie und ich uns ungefähr so ähnlich waren wie Eddie Redmayne und Sigmar Gabriel; ich wollte ein Ringelkleid.
Daheim machte ich mich auf die Suche nach einem passenden Schnitt und noch passenderem Stoff. Bei Else war es der U- Boot- Ausschnitt, der mir gefiel. Die Entscheidung für den Stoff war deutlich schwieriger. Entweder die Ringel waren doof, der Jersey war zu dünn, zu elastisch oder nicht elastisch genug. Erst auf dem Stoffmarkt in Opladen wurde ich fündig. Das Material nannte sich Sommer- Sweat, ich weiß aber nicht mehr, wer ihn produziert hat. Ich schreibe mir so etwas nie auf und Etiketten schmeisse ich grundsätzlich weg. Dann ärgere ich mich, weil ich so einen Stoff nicht noch einmal bekomme- Logik geht anders!

(Ist aber auch so ein Rheinländerin- Phänomen: Kosequenz und schlüssiges Handeln sind nicht unbedingt unsere Stärken.)

Ausschnitt mit Schrägband

Den Ausschnitt habe ich diesmal nicht mit Belegen versehen, sondern mit Schrägband. Ich dachte mir, wenn Armorlux und Muji das so machen, kann das ja nicht total verkehrt sein. Es funktioniert hier auch gut, der Ausschnitt ist weit genug und wird trotzdem ausreichend stabilisiert. Erst wollte ich das Kleid gerade lassen, bei der ersten Anprobe tendierte es optisch aber leider Richtung Nachthemd. Also zog ich auf Hüfthöhe ein Band ein. Das hat jetzt den Vorteil, daß ich es im Winter geschoppt als Hosenkleid tragen kann. Im Sommer darf es dann wieder knielang sein.
Wie zu erwarten war sehe ich damit nicht aus wie die japanische Elfe aus dem Van- Gogh- Museum, ich mag mich aber trotzdem sehr darin.

Wintervariante mit Jeans

Und damit ist auch erklärt, warum es auch ohne Tulpen oder Windmühlen das Amsterdam- Kleid heißt.

Stoff: Stoffmarkt
Link: Me Made Mittwoch

P.S.: Für mich ist die Auseinandersetzung mit dem Feminismus 35 Jahre alt. Immer wieder gibt es jemanden- auffällig häufig in der Presselandschaft der sogenannten Frauenmagazine-, der behauptet, unsere Kleidung sei ein Statement dafür, dass Frauen doch jetzt richtig Selbstbewußtsein haben. Kleidung kann ein Statement sein, aber das Tragen von High Heels bedeutet nicht, dass wir uns endlich emanzipiert haben. Das heißt nur, dass wir gerne hohe Schuhe tragen. Wenn wir aber den gleichen Lohn für gleiche Arbeit und einen adäquaten Anteil von Frauen in Führungspositionen erreicht haben, dann haben wir es geschafft. So leid es mir tut, das ist noch ein weiter Weg. 
 

Freitag, 3. März 2017

Die Leichtigkeit

von Catherine Meurisse

 


Am 7. Januar 2015 überfielen zwei maskierte Terroristen die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo. Zwölf Menschen wurden getötet und einige andere verletzt. Catherine Meurisse, eine der Zeichnerinnen, entging dem Anschlag nur, weil sie nach einem Streit mit ihrem Freund den Beginn der Redaktionsbesprechnung verschlafen hatte. Sie hatte einfach vergessen, den Wecker zu stellen. Als sie vor der Redaktion ankam, hörte sie die Schüsse der Angreifer und konnte sich in Sicherheit bringen.
In diesem Buch erzählt und vor allem zeichnet sie über das, was für sie danach geschah. Sie verlor ihre Leichtigkeit, wie sie das nennt, also ihre Fähigkeit, sich durch ihre Kunst auszudrücken. Zwar arbeitete sie an der dem Attentat folgenden Charlie- Hebdo- Ausgabe mit, aber sie spürte schon da, dass sie eigentlich nicht mehr in der Lage war, politische Karikaturen wie bisher zu machen.
Meurisse benötigte ein Jahr, um sich wieder zu finden. Neben Reisen und Gesprächen mit Freunden und Familie war es die Wiederentdeckung der Schönheit in der Kunst, die ihr ihre Sicherheit zurückgab.
In ihrer Graphic Novel ist sie ziemlich ehrlich. Sie versucht weder, aus sich eine Heldin noch ein hilfloses Opfer zu machen. Es gibt auf Seite 65 eine Zeichnung, in der sie Besuch von dem Mann bekommt, der sich vor dem Attentat von ihr getrennt hatte, weil er verheiratet war. Sie zerfließt vor ihm in Tränen mit den Worten: "Ich möchte lebendig sein, wie davor."
Es dauert lange, bis sie begreift, daß es nichts gibt, das den 7. Januar ungeschehen machen kann.
Catherine Meurisse findet sich in der Wiederentdeckung von Kunstwerken, die sie seit ihrer Kindheit kennt. Caravaggio, Bach, Stendhals Reise nach Rom, der Louvre: das sind ihre Rettungsanker. Schönheit und Kultur, die Grundlage unserer Ideen und unserer Kreativität, sind hier das Gegenbild zur Barbarei des Terrorismus.
Als das Attentat auf Charlie Hebdo geschah, war ich zutiefst erschüttert. Es hatte Künstler getroffen, zu denen ich mich irgendwie auch zähle, und unsere Freiheit, zu sagen was uns in den Sinn kommt, auch wenn es manchmal einseitig, verletzend und falsch sein kann. Es gibt eine Liste auf Wikipedia über die terroristischen Anschläge von 2017 an rückwärts, dabei ist der Überfall in Paris bei weitem nicht der schlimmste. Trotzdem war es gerade dieses Tat, die mich am meisten beschäftigte. Ich kann Meurisse verstehen, dass von einem Tag auf den anderen den Glauben an das verlor, was für sie bisher das Wichtigste gewesen war. Ihr Buch über das Wiederfinden ihres Selbstverständnisses ist trotz seiner manchmal schwer zu überlesenden Theatralik auf jeden Fall lesens- und anschauenswert.

Catherine Meurisse
Die Leichtigkeit
(übersetzt von Ulrich Pröfrock)
Carlsen Verlag, Hamburg 2017
ISBN 978-3-551-73424-4
Preis: ca. 20 Euro