Freitag, 7. September 2018

 

Keule macht Beule

Tourismus im Neandert(h)al

Identitätsstiftendes Grafitti unter der Autobahnbrücke

Dieser Tage war ich noch einmal im Neandertal.
Nein, das ist natürlich keine Sensation, das weiß ich auch! 
Ich besuche das Neandertal eigentlich schon seit meiner Kindheit. Ich war mit meinen Großeltern da, ich war mit meinen Eltern da, ich war mit der Schule da, ich war mit meinem Mann da, ich war mit Kommolitonen da und ich war mit meinen Kindern da. So etwas nennt man wohl einen Tourismusdauerbrenner.
Das Neandertal ist der tatsächliche Fundort des Neandertalers, war aber vorher schon ein beliebtes Ziel für Naturfreunde aus Düsseldorf und Umgebung. Benannt ist es nach dem Reformtheologen Joachim Neander (eigentlich hieß er Neumann, 1650- 1680). Er war 1674 Rektor an der Lateinschule in Düsseldorf und schrieb und komponierte pietistische Kirchenlieder. Bekannt ist der Choral "Lobet den Herren, den mächtigen König der Ehren", ein Evergreen in protestantischen Gottesdiensten. Herr Neander predigte gern in einer Schlucht in der Nähe von Mettmann unter freiem Himmel: voilà, so kam das Neandertal zu seinem Namen. Den behielt es auch, als der Namensgeber 1679 nach Bremen verschwinden mußte, weil er ein bißchen zu enthusiastisch gepredigt hatte.

Der Hund bewundert die Natur

Zu seiner Zeit sah es dort allerdings vollkommen anders aus. Die Landschaftsmaler der Düsseldorfer Schule haben wunderschöne Bilder einer weiten, sanften, bergigen Landschaft gemalt, aber die gab es seit 1849 nicht mehr. Man begann, in wirklich großem Stil Kalkstein abzubauen, schon nach zehn Jahren war das Tal nicht mehr wiederzuerkennen. Dieser Umweltskandal des 19. Jahrhunderts hatte nur einen positiven Nebeneffekt: 1856 fanden zwei italienische Steinbrucharbeiter in der Kleinen Feldhofer Grotte 16 Knochenfragmente, die sie erst verschwinden lassen wollten, aber als sie auch noch ein Schädelstück auftauchte, wurde ihnen mulmig. Der Betreiber des Steinbruchs war gebildet genug, um den Wuppertaler Naturforscher Johann Carl Fuhlrott zu Rate zu ziehen. Fuhlrott war nach seiner Untersuchung davon überzeugt, das Skelett eines Urzeitmenschen gefunden zu haben. Die Veröffentlichung seiner Theorie löste in Deutschland eine wüste Debatte aus, denn in der Wissenschaftswelt tobte gerade der Streit über Darwins Evolutionstheorie. Der arme Fuhlrott wurde diskreditiert und beschimpft; das hörte erst auf, als der Brite Charles Lyell Fuhlrotts Ergebnisse bestätigte.
Also hatte das Neandertal zwar seinen Ruf als Naturerlebnis verloren, war aber jetzt ein Ausflugsziel mit historischem Hintergrund. So kann's gehen mit dem Touismus!

Wisente sind nett und fluffig und immer von Bremsen umsaust, so ein bißchen wie der Saturn mit seinen Monden.

In meiner Kindheit gab es ein unfaßbar schnarchiges Neandertal- Museum, da wollte ich nie hinein. Aber das Wildgehege fand ich super. Seit 1935 werden hier rückgezüchtete Urtiere gehalten, und zwar Tarpane und Wisente. Früher durfte man die sogar streicheln, das gibt es heute selbstverständlich nicht mehr. Trotzdem lieben Kinder die "Auerochsen" mit den riesigen Schädeln und die nett guckenden "Urponys" immer noch. Meine Tochter wollte zu Weihnachten sogar eine Tierpatenschaft für einen Wisent haben: der Betreiber des Wildgeheges bietet so etwas an.

Kennt einer den Film "Hände weg von Mississippi"? Da wird ein Pferd mit einem Haarteil umgestylt, und genauso sehen Tarpane aus.

Das Neanderthal- Museum wurde nach einem Architektenwettbewerb 1993 neu gebaut. Der Entwurf der Architekten Kelp, Krauss und Brandlhuber bekam ein paar Preise -deswegen auch die Ausflüge mit den Architekturstudenten. Das Gebäude ist jetzt sozusagen eine Betonspirale mit Bauglas drum herum und hat eine tolle Atmosphäre. Der didaktische Teil ist vorbildlich und sehr beliebt bei Kindergeburtstagen und Schulausflügen, die Workshops richten sich aber an jüngere Besucher. Eine Klasse meiner Töchter war im sechsten Schuljahr da: sie fanden es langweilig, Schmuck aus Flintsteinen zu basteln. Das läßt übrigens auch Rückschlüsse darauf zu, mit wem man ins Neandertal fahren kann. Kleine Kinder und Erwachsene sind die Zielgruppe, Familienangehörige im Teenageralter schlurfen mit finsteren Minen herum und maulen, wenn das Handy keinen Empfang mehr hat. Ich weiß nicht einmal, ob es einen vernünftiges Snapchat-Logo für das Neandertal gibt.

Das Neanderthal- Museum in seiner ganzen Schönheit

Im und um das Neandertal gibt es ein ausgedehntes Netz an Wanderwegen, z.B. den Neandersteig, was hier in der Gegend ein Garant für vielfältige Wandermöglichkeiten ist. Man kann vom Spaziergang mit Omma und Oppa bis zur Sportwanderung alles machen. Die Wege sind gut ausgeschildert, wer es gerne anspruchsvoller mag, sollte sich trotzdem eine vernünftige Karte besorgen. Menschen mit unbezähmbarem Bewegungsdrang haben die Möglichkeit, hier bergauf und bergab Rad zu fahren, auch da gibt es tolle Wege (so sagt man).
Ich bin an einem sehr heißen Sommertag mit dem Hund im Neandertal unterwegs gewesen. Geparkt habe ich auf dem Parkplatz neben dem AWW- Seniorenheim (ist von der Ausfahrt der A 3 bis zum Neandertal gut ausgeschildert); man kann auch vor dem Museum parken, aber ich wollte ja ein wenig laufen. Von da aus geht es bergauf in Richtung einer kleinen Hofschaft, dann in den Wald und endlich wieder berab zum Wildgehege. Hinter dem Tarpanstall erschrak ich mich beinahe zu Tode: da lag ein Mensch im Mettmanner Bach! Erst als ich mich vorsichtig heranpirschte, konnte ich erkennen, dass es sich um eine Skulptur handelte. Hinter der Brücke klärte mich ein Schild auf: diese Skulptur ist Teil des Kunstweges Neandertal. Merke: wenn man sich von der falschen Seite nähert, muß man von alleine darauf kommen, dass es sich hier nicht um ein Verbrechen, sondern um Kunst handelt.

Der Horror im Bach!

Von da aus ist es nicht weit zum Museum. Am 1. Freitag im Monat kann man ab 14.00 Uhr mit Hund hinein, wenn man einem wissensdurstigen Hund etwas zur Evolution beibringen möchte. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite gibt es ein sehr schönes Café  mit Galerie und ein ebenso schönes Büdchen (woanders nennt man das wohl Imbiss mit Kiosk), je nachdem, ob man Kuchen oder Pommes auf die Hand möchte. Die eigentliche Fundstelle des Neandertalers ist etwas vom Museum entfernt und nicht ganz so super ausgeschildert. Man kann sich im Museum für den Besuch der wieder neu ausgegrabenen Kleinen Feldhofer Grotte Kopfhörer ausleihen, dann wird der Besuch interessanter. 
Dieser Service wird übrigens auch für den Kunstweg angeboten...

Früher waren Libellen ziemlich selten, bei diesem Spaziergang hat mich eine sogar beinahe umgeflogen.

Nach einer kleinen Pause habe ich den selben Weg zurück genommen. Es war wie schon gesagt ziemlich heiß, der Hund hatte keinen Bock mehr und zu Hause sollte es Gegrilltes geben, das dämpfte meinen Entdeckerdrang für diesen Tag. Ich habe insgesamt etwa zweieinhalb Stunden gebraucht. Für Kinderwagen und Rollatoren ist der Weg, den ich genommen habe, nicht zu empfehlen, dazu ist er teilweise zu steil und stufig, sonst gibt es keine Einschränkungen. 

Hohlweg mit motiviertem Hund

Man kann im Neandertal einen schönen Tag verbringen mit Bewegung für Körper und Geist. 
Was will man mehr?

Ist es noch Information oder schon Werbung?

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