Am letzten Wochenende haben wir meine Tochter in Kiel besucht, die hier ein dreimonatiges Praktikum bei einem Radiosender macht. Bei unserem Stadtrundgang entdeckte ich zu meinem Erstaunen die Silhouetten von riesigen Kreuzfahrtschiffen über den Dächern der Innenstadt. So etwas hatte ich noch nie von nahem gesehen, also wollte ich unbedingt in den Hafen.
Als ich vor diesen schwimmenden Kleinstädten stand, war ich sprachlos. Dass solche Ungetüme sich überhaupt über Wasser halten konnten! Ich sah nur Decks über Decks, es nahm überhaupt kein Ende. Gestalterisch war das Ensemble so anspruchsvoll wie Köln Chorweiler, und es wirkte auch genauso ansprechend. Auf den Dächern konnte ich Hallenbäder mit Aussenrutschen erkennen, wie sie sich viele Kommunen mittlerweile nicht mehr leisten können. Meine Tochter erzählte, dass sie in ihrer Wohnung in Friedrichsort, das immerhin ca. 10 Kilometer vom Kieler Hafen entfernt liegt, bei geschlossenem Fenster die Sirenen der Kreuzfahtrschiffe hören kann. Abends machten wir ein Picknick am Falckensteiner Strand und konnten dort mehrere Schiffe beobachten, die durch die Kieler Förde ausliefen, unter anderem die AIDA Nova. Im Vergleich zu diesem ... ich nenne sie jetzt ein Schiff, auch wenn das irgendwie nicht die richtige Bezeichnung zu sein scheint,...sahen alle anderen Wasserfahrzeuge wie Spielzeuge aus. Es war in seiner Undimensioniertheit verstörend!Zu Hause habe ich mich dann ein wenig belesen, weil mich das Thema nicht losliess. Die AIDA Nova zum Beispiel ist ca. 380 m lang und verfügt über ca. 2.600 Gästekabinen. Es gibt Theater (Mehrzahl), Kinos, Speisesäle, Shopping Malls und was man sonst so braucht, um mehr als 5.000 Menschen auf See bei Laune zu halten. Eine Kreuzfahrt in Richtung Nordsee kostet pro Person ca. 1.100 € in einer Innenkabine. Während dieser Woche enstehen für den Urlaub dieser Person ca. 1,9 to CO2, das entspricht dem Ausstoss, den die Person ein Jahr mit ihrem Auto verursachen würde. Die AIDA Nova wird im Gegensatz zu vielen älteren Schiffen mit Flüssiggas betrieben, hat aber einen zusätzlichen Dieselmotor für Notfälle oder Hafenaufenthalte. Seit 2021 werden auf ihr Brennstoffzellen getestet. In Häfen, die damit ausgestattet sind, kann sie den Betrieb mit Landstrom weiter fahren, also die Erhaltung von Licht, Gastronomie, Klimaanlagen etc. sicher stellen. Kiel, Hamburg und Rostock z.B. können Landstrom zur Verfügung stellen.Das ist auch gut so. In Städten, in denen die Kreuzfahrtschiffe im Hafen mit dem laufenden Dieselmotor angelegen müssen, ist die Belastung der Luft mit Schwefeloxid extrem hoch. Hamburg und Kiel zählten jahrelang zu den Städten mit der schlechtesten Luft in Europa. Seit Venedig keine Kreuzfahrtschiffe mehr in seinen Hafen lässt, ist hier die Schwefeloxidbelastung um 80 % gesunken.Aber nicht nur der Antrieb ist ein Problem. Ein Kreuzfahrtschiff verbraucht 1.000- 2.000 l Wasser am Tag. Dieses Wasser wird dem Meer entnommen, gefiltert und der Verwendung zugeführt. Das meiste Abwasser kann aufbereitet und wieder ins Meer geleitet werden. Aber Abwasser aus Duschen z.B. kann nicht aufbereitet werden und wird daher als Müll im Schiff gelagert. Da Lagerflächen in Schiffen knapp sind, wird das Wasser im nächsten Hafen entsorgt. Die Kreuzfahrtgesellschaft muss keine Rechenschaft darüber ablegen, wohin das Abwasser schlussendlich gelangt. Ähnliches gilt für anfallenden Müll, bis auf die Speisereste. Die meisten Kreuzfahrtschiffe bieten All-inclusive- Reisen an, was dazu führt, dass die Leute sich mehr auf den Teller schaufeln, als sie essen können. Die dadurch in großen Mengen enstehenden Lebensmittelabfälle werden geschreddert und dürfen ins Meer abgelassen werden. Was das für ein Ökosystem bedeutet, kann man sich leicht vorstellen.Viele Kreuzfahrtschiffe werden "ausgeflaggt", was bedeutet, dass sie unter der Flagge von Statten wie Malta oder Liberia fahren. Das spart nicht nur Steuern, sonder hebelt auch Arbeitsschutzgesetze aus. Arbeitszeiten von 14 Stunden am Tag bei bescheidener Bezahlung sind keine Seltenheit. Wie man sieht, gibt es deutlich nachhaltigere Möglichkeiten zu verreisen. Trotzdem hat sich der Anteil von Kreuzfahrten am Tourismusaufkommen in den letzten drei Jahren verdoppelt.Für mich ist die Kreuzfahrtindustrie eine vollkommen absurde Parallelwelt, da kann dieses Monster von Schiff noch so falsch lächeln. David Foster Wallace hat eine Kreuzfahrt in seinem Buch "Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich" sehr schön beschrieben. Der Text ist zwar schon älter, aber immer noch lesenwert.Apropos Empfehlungen für Kreuzfahrtfeinde: Wer sich einen Begriff davon machen möchte, wie sich die Absurdität noch steigern kann, dem empfehle ich die Netflix- Doku "Trainwreck: The Poop Cruise". In 2013 fielen durch einen Brand im Maschinenraum auf einem amerikanischen Kreuzfahrtschiff nicht nur Licht und Klimaanlage aus, sondern auch die Toiletten waren nicht mehr benutzbar. Mehr als 4.000 Menschen mussten fünf Tage unter diesen Bedingungen ausharren, bis das Schiff in einen Hafen gezogen werden konnte. Was für eine hygienische Apokalypse!
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