Freitag, 28. April 2017

Sylt: Besser als sein Ruf

Eine Hommage 

 

Das Glitzern des Wasser am Ellenbogen/ List

Vor ein paar Wochen hatte ich das Gefühl, vollkommen erschöpft zu sein. Ich war eigentlich dauernd müde und schlecht gelaunt. Wenn ich etwas Zeit für mich hatte, hing ich nur noch vor dem Fernseher oder vor dem Laptop herum und starrte vor mich hin. Zu etwas anderem hatte ich keine Lust. Ich wollte in den Osterferien eigentlich mit meinen erlebnishungrigen Mädels nach Paris, doch schon allein der Gedanke, was ich alles zu organisieren hätte, überforderte mich total. Also beschloss ich, den Plan zu ändern. Ich suchte für meine Familie, den Hund und mich etwas am Meer. Erfahrungsgemäß hilft es mir immer, aufs Wasser zu gucken und mir den Wind um die Ohren pfeifen zu lassen. "Das Blöd aus dem Kopf pusten", nenne ich das. Erstaunlicherweise war das Erste und auch das Preiswerteste, was ich fand, ausgerechnet auf Sylt. 

Knallharter Imagetest

Ich muss hier bestimmt nicht auf das Bild eingehen, dass die Ärzte in ihrem Lied "Westerland" von Sylt zeichnen. So leid es mir tut, zum Teil stimmt es. 
Mir ist zum Beispiel ein Rätsel, warum ca. siebzig Prozent der Autos dort schwarze SUVs sind. Die Insel ist platt wie eine Flunder, das Strassennetz ist wirklich gut, um Ostern herum muss man nicht mit Schnee und Glatteis rechnen und mit dem Auto an den Strand wie in St.-Peter-Ording darf man auch nicht. Warum also fährt der Großteil der Besucher mit riesigen, teuren, spritschluckenden Allradfahrzeugen herum? Der Autoreisezug sieht an den Wochenenden aus, als ob ein namhafter deutscher Autohersteller hundert Mal das gleiche Modell ausliefert. 

Manche finden hier die ewige Liebe

Die Markentreue mancher Urlauber kann richtiggehend rührende Ausmaße annehmen. Am Strand in Rantum gibt es zwei Parkplätze. Einer befindet sich vor dem Aufgang zur "Sansibar" (mit Mercedes- Shuttle- Dienst!), der ist bewacht und kostet 3,00 €. Dreihundert Meter weiter auf dem zweiten Parkplatz ist das Parken umsonst. Der Parkplatz vor der "Sansibar" ist brechend voll, der andere wird gemieden, als ob dort Cholerabakterien gefunden worden wären.

Inselshopping

 

Die Shoppingmeile der Insel gibt es in Westerland und ist von meinen Mädels getestet und für "spießig" befunden worden. Es gibt wenig, was sie sich selbst leisten könnten; das meiste ist eigentlich für ältere Herrschaften mit gefüllter Brieftasche gedacht. Meine Kleinere wollte unbedingt zu Tommy Hilfinger und war maßlos enttäuscht, wie langweilig/ konservativ die Kleidung dort war. Die Größere nannte das "Klamotten für CDU- Wähler". Also, richtig jung und hip ist Sylt hier wirklich nicht.

Leuchtend Gelb, strahlend Blau

Kulinarisch ist es meistens entweder teuer oder einfallslos- im ungünstigsten Fall beides. Kein Wunder also, daß die Fischkette "Gosch" wie verrückt boomt. Hier ist das Essen o.k. und bezahlbar, für uns aber leider nicht geeignet, weil wir eine Vegetarierin dabei haben. Wenn man selbst kocht, findet man allerdings ein paar tolle Hofläden in der Gegend um Morsum herum, wo man selbst angebautes Gemüse, frische Eier und Fleisch aus einer eigenen Schlachterei kaufen kann. Auch zu empfehlen ist "Feinkost Meyer" in Wennigstedt. Hier gibt es so richtig unsinnige Lebensmittel für viel Geld entdecken, die zum Beispiel meinem gerne kochenden Mann viel Spaß gemacht haben (ich sage nur: Trüffelchips, frischer Granatapfelsaft und knallblauer Weißwein). Ist man ein bißchen schmerzfrei, was die Preise angeht, sollte man die Joghurts und Puddings aus Sylter Eigenproduktion versuchen: einfach nur süchtigmachend lecker!

Hochwasserschutzreste, Ellenbogen/ List

Die Nerdempfehlung 

Der tollste Laden auf der ganzen Insel findet sich in Keitum: die "Büchertruhe". Das ist eine kleine Buchhandlung, vollgestopft mit Literatur. Ich meine das wörtlich: hier werden keine Bestseller vom Stapel verkauft, hier gibt es für Leser noch richtig was zu stöbern. Man kann bei der Belletristik Bände aus der Manesse- Bibliothek sichten, es gibt von Thomas Mann nicht nur die "Buddenbrooks", das Regal mit Geschichtsbüchern nimmt eine ganze Wand ein. Geleitet wird die Buchhandlung von einer winzigen alten Dame mit klassischem Pagenschnitt und Tweedkostüm, die dem Augenschein nach jedes Buch gelesen hat, das je in Deutschland erschienen ist. Mit der Kasse kann sie nur bedingt umgehen, das übernimmt eine jüngere Mitarbeiterin. Als wir da waren, entspann sich eine wüste Diskussion unter den Besuchern darüber, ob Siri Hustved ihre Bücher wirklich ganz allein schreibt oder ob ihr Mann Paul Auster ihr dabei hilft. 
So eine Buchhandlung muss man besucht haben, bevor sie endgültig aussterben!

Steintürmchen am Morsumer Kliff

 

Und was ist nun mit dem "Aus-dem-Kopf-zu-pustenden-Blöd"?

 

Dafür findet man hier das, weshalb jeder einmal da gewesen sein sollte. Meiner persönlichen Meinung nach gibt es auf Sylt die schönsten Strände Deutschlands. Kilometerweise weiter weißer Sand, richtiges blaues Meer mit wunderbaren Wellen, Wind und Sonne, Sonne und Wind! Es ist fanatstisch! Eine Woche lang hatte ich praktisch keine Frisur, der Wind läßt einen schönen, egalitären Wuschellook entstehen, außer es wird eine Mütze darübergestülpt. 
Schon am ersten Tag merkt man, dass die dummen Knoten im Kopf sich lösen. 
Man sollte sich auch die Naturschutzgebiete in den Dünen am Ellenbogen bei List und am Morsumer Kliff nicht entgehen lassen. Mit etwas Glück paddelt eine Kegelrobbe direkt am Meeresrand vorbei, man traut seinen Augen kaum. Für passionierte "Sachensucher" wie Pippi Langstrumpf gibt es ausreichend Gelegenheit, seine Taschen mit Muscheln, Steinchen und anderem Strandgut zu füllen. Am besten erkundet man Sylt mit dem Fahrrad, mit dem Auto geht es aber auch, wenn man so wie wir einen lauffaulen Hund dabei hat, der partout nicht einsehen will, weshalb er den ganzen Tag stumpf neben dem Rudel hertraben soll. Im Kofferraum auf der weichen Decke läßt es sich doch prima dösen zwischen den Strandbesuchen. Sylt ist übrigens wirklich hundefreundlich. Hier herrscht die Einstellung: wenn man so viel Strand hat wie hier, kann man auch großzügiger sein. Leben und leben lassen, sozusagen.


Reet, wohin man schaut

 

Soll man sich das antun? 

Auf jeden Fall!
Sucht Euch eine bezahlbare Unterkunft (richtig preiswert gibt es nicht), 
meidet die sogenannten "Hotspots", 
wendet Eure Augen von den abscheulichen Hochhäusern in Westerland und den albernen Reetdach- Schlumpfhäusern mit Tiefgarage in Kampen ab, 
geht an einen ein bißchen abseits gelegenen Strandabschnitt, 
werft Euch in den Sand und 
laßt nur für Euch die Sonne am Horizont über dem Meer untergehen: 

Ihr werdet Sylt wirklich lieben lernen!


2 Kommentare:

feinmotorik.blogspot hat gesagt…

Dann sollte ich Sylt wohl auch mal eine Chance geben. Mein Mann schwärmt immer so, weil er mit seinen Eltern immer Urlaub dort gemacht hat.
Aktuell fühle ich mich auch in so einer "keine Lust - keinen Antrieb - keine Motivation" Fälle gefangen und muss mal dringend raus.
Du machst mir mit Deinem Beitrag Lust auf Sylt.

susimakes hat gesagt…

Probier es aus: es ist wirklich richtig entspannend!
Man muss ja nicht jeden Quatsch da mitmachen.
LG Susanne