Freitag, 3. März 2017

Die Leichtigkeit

von Catherine Meurisse

 


Am 7. Januar 2015 überfielen zwei maskierte Terroristen die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo. Zwölf Menschen wurden getötet und einige andere verletzt. Catherine Meurisse, eine der Zeichnerinnen, entging dem Anschlag nur, weil sie nach einem Streit mit ihrem Freund den Beginn der Redaktionsbesprechnung verschlafen hatte. Sie hatte einfach vergessen, den Wecker zu stellen. Als sie vor der Redaktion ankam, hörte sie die Schüsse der Angreifer und konnte sich in Sicherheit bringen.
In diesem Buch erzählt und vor allem zeichnet sie über das, was für sie danach geschah. Sie verlor ihre Leichtigkeit, wie sie das nennt, also ihre Fähigkeit, sich durch ihre Kunst auszudrücken. Zwar arbeitete sie an der dem Attentat folgenden Charlie- Hebdo- Ausgabe mit, aber sie spürte schon da, dass sie eigentlich nicht mehr in der Lage war, politische Karikaturen wie bisher zu machen.
Meurisse benötigte ein Jahr, um sich wieder zu finden. Neben Reisen und Gesprächen mit Freunden und Familie war es die Wiederentdeckung der Schönheit in der Kunst, die ihr ihre Sicherheit zurückgab.
In ihrer Graphic Novel ist sie ziemlich ehrlich. Sie versucht weder, aus sich eine Heldin noch ein hilfloses Opfer zu machen. Es gibt auf Seite 65 eine Zeichnung, in der sie Besuch von dem Mann bekommt, der sich vor dem Attentat von ihr getrennt hatte, weil er verheiratet war. Sie zerfließt vor ihm in Tränen mit den Worten: "Ich möchte lebendig sein, wie davor."
Es dauert lange, bis sie begreift, daß es nichts gibt, das den 7. Januar ungeschehen machen kann.
Catherine Meurisse findet sich in der Wiederentdeckung von Kunstwerken, die sie seit ihrer Kindheit kennt. Caravaggio, Bach, Stendhals Reise nach Rom, der Louvre: das sind ihre Rettungsanker. Schönheit und Kultur, die Grundlage unserer Ideen und unserer Kreativität, sind hier das Gegenbild zur Barbarei des Terrorismus.
Als das Attentat auf Charlie Hebdo geschah, war ich zutiefst erschüttert. Es hatte Künstler getroffen, zu denen ich mich irgendwie auch zähle, und unsere Freiheit, zu sagen was uns in den Sinn kommt, auch wenn es manchmal einseitig, verletzend und falsch sein kann. Es gibt eine Liste auf Wikipedia über die terroristischen Anschläge von 2017 an rückwärts, dabei ist der Überfall in Paris bei weitem nicht der schlimmste. Trotzdem war es gerade dieses Tat, die mich am meisten beschäftigte. Ich kann Meurisse verstehen, dass von einem Tag auf den anderen den Glauben an das verlor, was für sie bisher das Wichtigste gewesen war. Ihr Buch über das Wiederfinden ihres Selbstverständnisses ist trotz seiner manchmal schwer zu überlesenden Theatralik auf jeden Fall lesens- und anschauenswert.

Catherine Meurisse
Die Leichtigkeit
(übersetzt von Ulrich Pröfrock)
Carlsen Verlag, Hamburg 2017
ISBN 978-3-551-73424-4
Preis: ca. 20 Euro


1 Kommentar:

Frau Jule hat gesagt…

oh, diese graphic novel hatte ich schon so oft in den händen. mich schreckte der preis etwas ab (wie ungefähr bei allen graphic novels). aber vielleicht jetzt doch. danke für diese rezension.
liebe grüße,
jule*