Dienstag, 7. November 2017

Abenteurer im Talar

Kloster Knechtsteden, Dormagen



Woran denkt ihr, wenn es um Missionare geht? Vielleicht an fanatische Männer, die naiven Eingeborenen Angst vor der Hölle machen? An bigotte Geistliche mit zwei Geliebten und zehn Kindern, Alleinherrscher über ein Dorf am Amazonas? Oder an naive, in den Tropenarzt verknallte Nonnen als Krankenschwestern? Vielleicht habt ihr auch so einen alten Mann mit Zigarre und Whiskeyglas vor Augen wie in alten Hollywoodfilmen, gespielt von Humphrey Bogart...



An einem der letzten schönen Tage war ich mit meinem Mann im Kloster Knechtsteden bei Dormagen. Das Kloster ist eine Gründung aus dem 12. Jhd. durch einen Orden namens Prämonstratenser. Im Laufe der Jahrhunderte veränderte es sich ständig durch Erweiterungen, Brände, daraus resultierenden Neubauten und Restaurierungen; im 19. Jahrhundert übernahmen die Spiritaner die Anlage. Die Spiritaner sind kein Orden, sondern eine Missionsgemeinschaft. Sie bildeten ihre Pater hier selbst aus und schickten sie hinaus in die Welt. Wenn sie krank oder zu alt wurden, konnten sie nach Knechtsteden zurückkommen, um ihren Lebensabend unter anderen aus ihrer Gemeinschaft zu verbringen. Manche kehrten allerdings nie zurück.


Heute leben noch 23 ehemalige Missionare hier. Sie haben einen Altersdurchschnitt von 78 Jahren. Die Spiritaner- Gemeinschaft verlangt nicht von ihnen, noch aktiv mitzuarbeiten; einige tun es aber trotzdem. Lediglich die Organisation der Messen ist obligatorisch. Es gibt die Verwaltung des Missionshauses, eine Zeitung und eine Spritaner- Stiftung. Außerdem unterhalten sie eine Bücherei, eine Kleider- und Altmöbelkammer und einen Klosterladen. Einige Teile des Geländes werden von anderen Einrichtungen genutzt: die größte davon ist ein privates Gymnasium. Der Kunstverein Dormagen, ein Waldorf- Kindergarten und ein Obstbauer z.B. haben hier ihre Heimat gefunden.





Zur Zeit kann man in einem Teil des Kreuzgangs eine kleine Ausstellung über die Missionare sehen. Das ist ziemlich verblüffend. Viele von ihnen waren unruhige, hochgebildete Geister, die auch als Forscher und Abenteurer getaugt hätten. Sie erkundeten die fremden Länder, in die sie gesandt worden waren, mit offenen Augen. Sie katalogisierten Pflanzen und Mineralien, fertigten detaillierte Zeichnungen der Tierwelt, schrieben Wörterbücher in den Sprachen der eigentlichen Einwohner. Ein Spiritanerpater organisierte die erste Feuerwehr Haitis,  ein anderer rief ein Sturmwarnsystem für die karibische Schiffahrt ins Leben, weil seine heimliche Liebe der Meteorologie galt. Nach dem ersten Weltkrieg ergriffen nicht wenige Männer nach ihrer Entlassung aus dem Armeedienst den Beruf des Missionars, weil sie die Welt verbessern wollten. Sie entsprechen so gar nicht dem Bild, dass ich mir von Missionaren gemacht hatte.



Die Basilika und der Kreuzgang in Knechtsteden sind zwar kunsthistorisch interessant, vor allem aber merkt man ihnen an, dass sie genutzt werden. Das gefällt mir ausgesprochen gut und macht die besondere Atmosphäre des Ortes aus. Als wir dort waren, musste die Orgel repariert werden. Daran machte sich ein Orgelbauer aus den Niederlanden zu schaffen, der wie ein Besenbinder schimpfte, weil die Reparatur nicht so klappte, wie er sich das vorstellte. Hätte ich ihm länger zugehört, wüsste ich vermutlich jetzt, was "Ich hau gleich mit dem Hammer in das verdammte Ding!" auf niederländisch heißt.


Der Schulhof und einige Räume der Schule sind unmittelbar an den Wohnungen der Missionare gelegen, da wird es unter der Woche auch etwas lauter. Vor dem Torhaus liegt ein wirklich gutes Restaurant. Im Sommer kommen viele Ausflügler hierher, außerdem ist es sehr beliebt für Familienfeiern. Radwanderer durch den Niederrhein können im Heuhotel übernachten; der Kunstverein hat regelmäßige Workshops und Ausstellungen im Hof. Ach ja, und ein gemischter Chor probt stimmgewaltig bei offenen Fenstern!


Es gibt wenige sakrale Anlagen, die noch so lebendig sind.

So sollte Glauben sein: mitten unter den Menschen.

Info:
Kloster Knechtsteden 1, 41540 Dormagen
www.kloster-knechtsteden.de

Tipp:
Wer kleine Kinder hat, die nach Klosterbesuchen noch weitere Sensationen einfordern, dem sei der nahegelegene Tierpark Tannenbusch ans Herz gelegt. Da kann man Rehe füttern, sich vor streng duftenden Wildschweinen die Nase zu halten und auf dem riesigen Spielplatz toben. Hunde dürfen an der Leine mit hinein. Im Sommer steht auf dem Parkplatz ein Eiswagen mit spektakulärem Stracciatella- Eis.

2 Kommentare:

kuestensocke hat gesagt…

Ein wunderbarer Bericht, vielen Dank dafür. Ich habe schon in einigen Büchern gelesen auf wie vielfältige und wenig dogmatische Weise die Missionare ihre Aufgaben in der Welt wahrgenommen haben. Gerade kürzlich las eich ein Buch über Neuseeland, auch dort waren Missionare aktiv, die mit den Einwanderern gekommen waren und z.B. Schulen für alle Kinder anboten. LG Kuestensocke

susimakes hat gesagt…

Es ist bei der Missionsarbeit wie bei fast allem: Es lohnt sich, näher hinzuschauen und seine vorgefaßten Meinungen zu überprüfen.
LG Susanne