Dienstag, 27. Dezember 2016

Der Bandwurmsatz und das gebrochene Herz

 

Wenn man durch den Wald geht und den Hund ohne Leine laufen läßt, und

wenn man dort auf eine fremde Frau trifft, die erschreckt stehen bleibt und mit beiden Armen winkt, und

wenn man daraufhin ein bißchen genervt den Hund zurückruft und anleint, und

wenn man einfach an der fremden Frau vorbeigehen will, und

wenn man von der fremden Frau angespochen wird, die weitschweifig erklärt, daß sie zwar keine Angst vor Hunden hat, sich aber trotzdem irgendwie unwohl fühlt, und daß ja so viele Hundehalter keine Rücksicht auf andere nehmen, und

wenn man zwar höflich antwortet, daß der Wald sicherlich allen gehört, aber bei sich denkt, wie oft man schon diese leidige Diskussion geführt hat, und

wenn man jetzt aber wirklich weitergehen will, und

wenn die fremde Frau plötzlich leise sagt, daß sie früher hier immer mit ihrem Mann unterwegs war, aber ihr jetzt immer so komisch zumute ist, weil sie jetzt alleine unterwegs sein muß, und

wenn man auf einmal einfach so das Gefühl hat, daß das eigene Herz bricht vor Mitgefühl mit der fremden Frau, die den Verlust eines geliebten Menschen verarbeiten muß,

dann nimmt man sich vor, nicht nur auf sich selbst, sondern viel mehr auf andere zu achten.

Donnerstag, 22. Dezember 2016

Froh in die Weihnachtsfeiertage

WKSA 2016 Finale

 

Es ist mir tatsächlich gelungen, ein Weihnachtskleid zu nähen: ich kann es immer noch nicht richtig glauben. Ich will gar nicht wieder mit der mühevollen, steinigen, von Rückschlägen heimgesuchten, verzweiflungsgeschwängerten, haarsträubenden und mich um zehn Jahre älter machenden Geschichte anfangen. Schwamm drüber, das Kleid ist fertig!
Ich wollte eigentlich eine tolle Fotostory inszenieren, in der unser noch ungeschmückter Weihnachtsbaum eine zentrale Rolle spielt, aber zum einen hatte ich gerade wieder einmal keinen Fotografen zur Hand und zum anderen regnete es Bindfäden. Ich konnte schließlich nicht riskieren, daß mein wunderbares Kleid naß wird! Nicht nach all den Opfern, die ich gebracht habe, ich will schließlich nicht wieder davon anfangen, wie mühevoll etc... (siehe oben).
Innenaufnahmen waren gefragt. Bei Brandon Woelfel sieht das doch immer super aus mit den kleinen Lichtern, dachte ich mir.


Also mußte ich im Keller nach einer funktionstüchtigen Lichterkette kramen, was nicht einfach war, denn die defekte Glühbirne der Deckenbeleuchtung wartet seit drei Monaten darauf, ausgetauscht zu werden, Batterien suchen, Batterien in das blöde chinesische Lichterkettendings hinein friemeln, mir dabei einen Fingernagel abbrechen, feststellen, daß die Beleuchtung neonblau ist (Wieso kaufe ich so etwas?), die Kamera holen, eine Belichtungsreihe machen und unscharfe Fotos schießen, weil ich Volldepp wieder auf den Spiegel und nicht auf mich scharf gestellt habe. Perfekt!

Inzwischen sind meine Töchter aus der Schule gekommen und machen sich nach Kräften über mich lustig. Das hat man nun von seinem Geltungsbedürfnis! 

Was ich aber eigentlich sagen wollte: Ich habe zum ersten Mal an einer solchen Zusammen-Was-Nähen-Sache teilgenommen, und ich muß sagen, daß es mir Spaß gemacht hat. Termine zu haben, die man einhalten muß, ist für mich motivierend. Ich möchte mich also ganz herzlich bei den beiden Organisatorinnen Yvonne und Dodo für ihre Arbeit bedanken, ebenso wie bei den netten Menschen, die meine Geschichten gelesen und kommentiert haben.


Ich wünsche Euch allen ein frohes und friedliches Weihnachtsfest!

Verlinkt mit: Me Made Mittwoch
Kleid: Else/ Schneidernmeistern
Stoff: Jolijou

P.S.: Das kommt übrigens dabei heraus, wenn ich mich selbst von hinten fotografieren will:

Sonntag, 18. Dezember 2016

Der Weg ist das Ziel

WKSA 2016

Ich hatte mir ja vor ein paar Wochen diesen absolut unschlagbaren Plan mit dem Pulloverkleid Karl zurechtgelegt, der mir ein Alltagskleid und einen weihnachtlichen Hingucker bescheren sollte. Frohgemut machte ich mich ans Werk, produzierte das Alltagskleid und stürzte in eine Sinnkrise. Das verdammte Ding wollte sich einfach nicht meinem schneiderischen Willen beugen. Auch nach dreimaligem Tragen konnte ich mich nicht mit dem Kleid anfreunden. Der Kragen war immer noch zu eng (kurz überlegte ich schon, ob ich eventuell Probleme mit der Schilddrüse haben könnte, weil ich immer Beklemmungen bekam), außerdem war es mir auch zu lang. Im Nachhinein fiel mir auf, daß ich Ende der Achtziger/ Anfang der Neunziger einen Rock in genau dieser Länge gehabt hatte, der mir auch auf die Nerven gegangen war. Also war die Wahl von Karl als Schnittmuster totaler Unfug gewesen.
Missmutig drehte ich meiner Nähmaschine den Rücken zu. Dann eben nicht, dachte ich mir. Aber, wie das Leben eben so spielt, kam doch alles anders. In unserer Stadtbücherei fiel mir zufällig das Buch Liebe auf den ersten Stich von Tilly Walnes in die Hände. Das war alles so hübsch darin, und die Autorin erzählte so nett übers Nähen. Ich suchte mir das Kleid Megan als nächstes Projekt aus, das erschien mir machbar. Also nichts wie in den Stoffladen! Während ich dort nach einem passenden Stoff herumsuchte, entdeckte ich einen Stoff, der dazu nicht passte, aber eine tolle Else werden könnte. Eine freundliche Baumwolle für Megan fand ich auch. Ich war wieder im Spiel!


Für Karl hatte ich außerdem zu viel French Terry gekauft. Ich nahm Maß, und siehe da: das reichte für einen Rock, ebenfalls aus dem Buch. Das ist ein Zeichen, schoss es mir durch den Kopf. Ich hatte so viele Pläne wie noch nie fürs Nähen. Aber leider kamen mir in den Weg: der Kieferorthopäde von Tochter 2, die Volleyballmannschaft von Kind 1, ein Skiwochenende, ein Geige- mit- Klavier- Vorspiel, ein vollkommen wahnsinniger Architekt mit absurden Terminvorstellungen, Straßen NRW und die ständigen Autobahnsperrungen und... und... Weihnachten, Weihnachten, Weihnachten!


Aber diese Woche hatte ich endlich Zeit. Ich bekam den Rock fertig! Ich kann jetzt sogar nahtverdeckte Reissverschlüsse! Ich habe einen richtigen Bund genäht, mit Bügeleinlage! Ich bin so stolz auf mein Röckchen, daß ich es zu unserer Weihnachtsfeier angezogen habe.


Aber die echte Sensation kommt jetzt: die Else von  siehe oben aus dem tollen Jolijou- Stoff ist auch beinahe fertig. Ich muß noch ein wenig herumbügeln, die Säume säumen und dann noch einmal bügeln, aber das ist Kindergeburtstag. Ich werde ein echtes, fertiges Weihnachtskleid haben! Damit habe ich nun wirklich nicht mehr gerechnet, und ich freue mich wie ein Schnitzel.



Megan wird es wohl nicht mehr schaffen, ich bin schließlich kein Näh- Titan. Egal, so intensiv habe ich mich noch nie mit dem Nähen beschäftigt. Das liegt wirklich am WKSA, vielen Dank dafür!


Verlinkt mit: Me Made Mittwoch

Dienstag, 13. Dezember 2016

Die schönsten Pausen sind nicht lila, sondern weiss


Ich habe mir mit meinem Mann eine Pause vom Vorweihnachtswahnsinn gegönnt. Wir sind für ein verlängertes Wochenende ins Pitztal nach Jerzens gefahren, um im wohlverdienten Sonnenschein ein bißchen Ski zu fahren und uns im Hotel verwöhnen zu lassen. Es hat sich wirklich gelohnt!

Das Skigebiet von Jerzens heißt Hochzeiger. Es ist nicht besonders groß, aber für zwei bis drei Tage ist es vollkommen ausreichend. Da ich seit etwa dreißig Jahren Ski fahre, kenne ich mittlerweile sehr viele große und kleine Skigebiete. Die großen Anlagen wie Ischgl oder Sölden sind natürlich toll, aber meistens wegen ihres Bekanntheitsgrades auch sehr überfüllt. Außerdem hat man doch mitunter arg mit spätestens ab halb elf alkoholisierten Gruppen zu tun. Das ist nicht nur nervig, wenn man eine kleine Pause machen will; manchmal finde ich es auch gefährlich auf der Piste. Hier hielt sich das in der Vorsaison in überschaubaren Grenzen.
Der Schnee, auf dem wir gefahren sind, was perfekt aufbereiteter Kunstschnee. Früher hieß das: entweder Grieselmatsch oder Eisplatten; heute bedeutet es, daß man überall hervorragend Ski laufen kann. Anfang Dezember kann man außer auf einem Gletscher eben keine Wunder erwarten.

Jerzens ist die Heimat des österreichischen Superstars Benjamin Raich und seiner Frau Marlies, die unter ihrem Mädchennamen Schild beinahe genauso erfolgreich war. 

Mittlerweile haben beide ihre Karriere beendet. Jetzt nutzen sie ihre Popularität, um ihren Heimatort bekannter zu machen. In der Mittelstation der Gondelbahn gibt es eine kleine Ausstellung über die beiden. Hier kann man seine Reaktionsfähigkeit testen, ein bißchen Trainingsfeeling bekommen und echte olympische Medaillien anstaunen. (Die Dinger sind übrigens überraschend groß, außerdem sehen sie schwer aus.) Außerdem gibt es Trainingsmöglichkeiten für junge Skitalente hier, man kann den zukünftigen Stars beim Slalom und Riesenslalom zusehen und sich dabei für seine eigenen Skikünste in Grund und Boden schämen.
Das hier ist die Panorama- Abfahrt. Man sieht über das Inntal bis nach Innsbruck, wenn das Wetter gut ist. Ich weiß natürlich, daß Skifahren wegen der Umweltverträglichkeit in der Kritik steht. Seit vielen Jahren wird versucht, die Folgen des Massentourismus in den Alpen einzudämmen, doch natürlich zahlt die österreichische Bergwelt ihren Preis dafür, daß sie der Wirtschaftsfaktor Nummer eins des Landes ist. Daran gibt es nichts zu rütteln.
Wenn man allerdings nicht nur den Berg rauf und runter saust, lediglich unterbrochen von Ess- und Trinkpausen, sondern öfter stehen bleibt, um den Ausblick zu geniessen, dann empfindet man irgendwann Dankbarkeit. Das Skifahren ermöglicht es mir, mich in dieser großartigen Landschaft aufzuhalten, die ich sonst im Winter niemals erreichen könnte. Die Schönheit der Berge ergreift mein Herz und meine Seele immer wieder aufs Neue.



A propos Mal-was-anderes-machen: Auf dem Sechszeiger gibt es ein kleines Rondell aus Metall und Glas, in dem zwei große Holzliegen stehen. Hier genießt man windgeschützt einen wunderbaren Rundblick. Sollte ich noch einmal hierher kommen, nehme ich einen Rucksack mit heißem Tee und meinen Zeichensachen mit, um in Ruhe ein paar schöne Skizzen zu machen. 


Was mir auch Spaß machen würde: man kann abends ein paar Stunden mit einer Pistenraupe mitfahren, während der Schnee planiert wird. Das hat eine ganz spezielle Atmosphäre!
Rund um die Talstaion des Hochzeigergebietes gibt es natürlich ausreichend Après- Ski- Gelegenheiten, Hotels und Restaurants, die die Hütten entlang der Pisten für diejenigen ergänzen, die erst nach dem Skifahren in Feierlaune sind. 


Noch ein Tipp: Wir kommen ja aus dem Rheinland, und da gehört es zu einer der nervigsten Angelegenheiten schlechthin, sich im Sportgeschäft die Ski aufbereiten zu lassen. Man schleppt die Dinger durch die Stadt, hört sich im Laden das Gejammer an, wieviel der Skimensch zu tun habe vor Weihnachten, wartet zwei Wochen und schleppt die Latten wieder zurück nach Hause. Hier in Österreich gibt man die Ski im Sportladen neben der Talstation ab, waretet zwanzig Minuten und bekommt dann pünktlich seine perfekt gemachten Ski mit messerscharfen Kanten zurück. Als ich das hier gemacht habe, kam ich mir auf der Piste vor wie Maria Riesch, so gut liefen meine Ski!

Außerdem sind die Accessoires hier einfach nicht zu toppen. 







Montag, 5. Dezember 2016

Wie ich auf den Hund kam

 

Als Kind wollte ich immer einen Hund haben. Generell waren sowohl mein Vater als auch meine Mutter dagegen. Es gab eine ganz, ganz kurze Phase, als ein Freund meines Vaters wahnsinnig viel Geld für einen reinrassigen Boxer vom Züchter bezahlte und damit Hunde in den Augen meiner Eltern zu einem Statussymbol machte. Da sie sich aber nicht einigen konnten, ob ein Boxer oder ein Dalmatiner stylisher sein würde, wurde zu meiner großen Enttäuschung nichts daraus.


Danach folgten  zwei Hamster namens Peppino I und Peppino II, ein Wellensittich, meine Pferdezeit (ohne eigenes Pferd), eine zugelaufene Katze, die Scheidung meiner Eltern, drei Hunde der zweiten Frau meines Vaters, eine weitere Katze- diesmal vom Bauernhof, neben dem meine Großeltern wohnten -, mein Auszug, das erste Zusammenleben mit meinem Freund (heute Mann), und der Umzug in eine größere Wohung einschließlich Übernahme einer Katze, die nicht mit der Vormieterin nach Frankreich auswandern wollte und deshalb bei uns blieb. Sie war das erste Haustier, das meine Kinder kennen lernten. Als diese Katze wegen der Spätfolgen eines Autounfalls eingeschläfert werden musste, war es irgendwie kalt in der Wohnung. Wir wollten wieder ein Haustier.
Meine jüngere Tochter war damals im Kindergarten dauernd unglücklich. Sie war permanent krank und fand aufgrund einer unfassbar dämlichen Gruppenzusammenstellung keine Freunde dort. Man konnte praktisch zusehen, wie ihr Selbstbewußtsein schwand. Das gab den Ausschlag: ein Hund sollte es sein, der würde ihr helfen! 
Tja, und dann wurde es skurril! Wir lasen Bücher, Zeitschriften und Internetforen, um uns genauestens zu informieren, welcher Hund zu uns passen würde. Auf jeden Fall ein Welpe vom Züchter, hieß es da, kein Tier von jemandem, der nicht in mindestens drei Zuchtverbänden sei. Oder aus dem Tierheim, da säßen wunderbare Hunde ein, die nur darauf warteten, uns glücklich zu machen. Da wir ja alle ein wenig weichherzig sind, versuchten wir es zunächst mit dem Tierheim.
Die meisten der Hunde, die tatsächlich zu vermitteln waren, konnten nicht mit Kindern. Kleine Kinder seien laut, unbeherrscht, zögen die Hunde am Schwanz oder trampelten ihnen ohne Pause auf die Pfoten. Da sei es kein Wunder, wenn die gestressten Tiere auch mal zuschnappen würden; und dann müßten sie zurück in Heim, obwohl sie eigentlich ein echter, aber eben unverstandener Schatz seien! Man konnte manchmal den Eindruck gewinnen, am besten gäben wir die Kinder ab, um uns mit so einem armen Hund beschäftigen zu können. Alternativ könnten wir ja einen netten, gerade frisch gefangenen Rüden aus Griechenland oder der Türkei haben, den man extra für uns einfliegen würde. Wir lehnten dankend ab.
Nun gut, dann eben ein Züchterhund, dachten wir uns. Damit traten wir ein in eine Welt voller abstruser Genetikregeln (ich sage nur " garantiert HD- frei": für alle, die sich damit auskennen!), ellenlanger Wartelisten, merkwürdiger Preispolitik (wieso ist ein schokobrauner Labrador aus dem gleichen Wurf 200 € teurer als sein schwarzes Geschwister?) und einer erstaunlichen Übergriffigkeit seitens der Hundezüchter. Wir wurden taxiert, ausgehorcht und bewertet in einer Weise, für die sich ein Personalchef ruckizucki vor Gericht wiederfinden würde. Einem Herrn, der einen Wurf Tibetterrier abzugeben hatte, sollte ich telefonisch doch tatsächlich, nachdem er erst unsere Bonität bezweifelt hatte, meine Erziehungsphilosophie im Bezug auf meine Kinder erläutern. 
Währenddessen nahmen meine Töchter die Sache selbst in die Hand. Sie entdeckten Internetportale, in denen massenweise Hunde angeboten wurden und fanden auf eigene Faust ihren Traumhund. Da gab es ein Foto von einem schwarzen Mischlingswelpen mit einem blauen Halstuch, darunter stand: "Meine Geschwister sind alle vermittelt, und ich habe mein Köfferchen auch schon gepackt!" Das war's, dieser Hund oder keiner! Natürlich sollte man keinen Welpen unbekannten Ursprungs aus dem Internet kaufen, selbstverständlich widerspricht das allen Regeln des Tierschutzes, und überhaupt... Am nächsten Sonntag fuhr ich mit meiner kleinen Tochter an den Niederrhein, um uns das süße Hundekind nur mal kurz anzusehen. 


Der kleine Hund - ich nenne ihn jetzt der Einfachheit halber direkt Rosi- war gesund, geimpft und hatte ein einwandfreies Sozialverhalten. Ihre Familie bestand neben zwei weiteren Hunden, unzähligen Katzen und zwei Ponies aus den zur Zeit arbeitslosen Eltern und drei Kindern. Eigentlich hatten sie Rosi behalten wollen, doch sie konnten sich noch einen Fresser einfach nicht leisten. Der Mann fragte mich sogar  nach einem Job. Ich wollte Rosi erst eine Woche später abholen, aber das ging nicht, weil der Verkauf vor den Kindern geheimgehalten werden mußte. Also packte ich den kleinen Hund mit ein bißchen Hundefutter (das kein Welpenfutter war, wie sich herausstellte) und einer geliehenen Leine in den Fußraum meines Autos. Wir waren kaum auf der Autobahn, da übergab sie sich das erste Mal. Ich konnte meiner Tochter ansehen, daß sie das Projekt "Hund" noch einmal gründlich überdachte.
Der Name Rosi stammte von den Vorbesitzern, wir fanden ihn so bescheuert, daß wir ihn behielten. Da ich von den Hunden meines Vaters bis dahin nur unmanierliches Verhalten in jeder Form kannte, besuchte ich mit unserem Welpen die Hundeschule. Das war auch gut so, denn Rosi war so niedlich, daß sie allen auf der Nase herumtanzte. Es dauerte mehr als ein Jahr, bis wir uns auf einen für beide befriedigenden Umgang einigen konnten. 

Rosi reißt niemanden um, sie hört auf die meisten Kommandos, fängt keinen Streit mit anderen Hunden an und sie kann ohne Leine laufen, ohne den Wildbestand der Umgebung zu gefährden. Sie döst den halben Tag in ihrer Hundekiste und frißt schneller als ich atmen kann. Seit 8 1/2 Jahren gehe ich mindestens zwei Mal am Tag mit ihr spazieren, und zwar bei jedem Wetter. Sie stürzt sich mit Enthusiasmus in alle erdenklichen Gewässer. Schneeflocken machen sie glücklich. Sie jagt wie eine Besessene Bällen hinterher. Im Frühjahr steckt sie den Kopf in Büsche und Grasbüschel, bis sie sich eine Bindhautentzündung und Zecken an der Nase holt. Sie hält Leberwurst für die Sache, die uns Menschen zu Göttern macht.

Als Welpe hat sie vor Aufregung einen Haufen in die Sportabteilung vom Kaufhof gemacht. In Wyk auf Föhr mußte sie sich bei einem laufenden Kurkonzert übergeben, weil sie zu viel Salzwasser geschluckt hatte. Im Bayrischen Wald büxte sie in einem unbeobachteten Moment aus und rannte hinter den Kindern her über die Skipiste. Sie hat sich hinter einem unbedacht geworfenen Schneeball eine drei Meter hohe Schneewehe hinunter gestürzt, aus der wir sie herausbuddeln mußten. Im Wendland galoppierte sie einen Turm mit Wendeltreppe hinauf, dabei wurde ihr so schwindelig in ihrem pelzigen Hundekopf, daß sie beinahe nicht mehr heruntergekommen wäre. In der Ostseee schwamm sie wegen des Wellengangs einem falschen Mann hinterher; als ich sie am Ende des Strandabschnittes wiederfand, war sie so erleichtert, daß sie praktisch sofort in Tiefschlaf verfiel. Bei einer Firmenfeier spielte sie begeistert mit Fußball und sprang dabei sie auf den Anhänger eines LKWs, von dem sie sich alleine nicht mehr herunter traute. Im Zoo in Gelsenkirchen schnüffelte sie einem Bronzebären am Hintern, weil sie nicht begreifen konnte, daß er nicht echt war.

Sie freundlich und geduldig. Wenn sie sehr tief schläft, träumt sie mit zuckenden Pfoten und quietscht dabei. Morgens macht sie gründliche Dehnübungen, bevor sie mit mir kommt. Sie sieht nicht mehr so gut wie früher, mittlerweile machen ihr Mülltonnen im Dunkeln Angst. Wenn sie im Sommer zu lange in der Sonne liegt, ist sie richtig duselig im Kopf, dann taumelt sie in unsere Wohnung und kühlt ihren Bauch auf den Bodenfliesen. Sie mag Menschen, Eichhörnchen kann sie nicht leiden. Sie liebt es, hinter den Ohren gekrault zu werden. Wenn sie naß ist, sieht sie aus wie eine amerikanischer Seelöwe. Sie frißt alle Krümel unter unserem Küchentisch auf, das fällt uns besonders auf, wenn sie nicht bei uns ist. Dann müssen wir viel mehr fegen. Sie kann sich nicht lange konzentrieren, immer gibt es etwas, das noch spannender ist als das, was sie gerade erst entdeckt hat. Aufdringliche junge Rüden knurrt sie seit ein paar Jahren an: sie ist eine reife Dame und muß sich dieses rüpelhafte Verhalten nicht mehr gefallen lassen. Ihre Haare an der Schnauze sind so grau wie die Schläfen von George Clooney.

Meine Kinder können ihren Kummer in ihr Fell weinen; sie ist auch ihre Verbündete, wenn Mama mal wieder ungerecht zu ihnen ist.

Mein Mann kann mit ihr länger Ball spielen als mit einem Jungen, den er sich vielleicht ab und zu wünscht. 

Mein Schwiegervater verknüpft mittlerweile seine Lebenszeit mit ihrer.

Ohne sie würde ich manchmal nicht aufstehen wollen.

Das alles schreibe ich, weil heute ihr 9. Geburtstag ist:

Herzlichen Glückwunsch, Rosi!